MIT OFFENHEIT UND FÜHRUNG

Der Wandel im Markt ist groß und die aktuelle Pandemie wirkt noch einmal als Beschleuniger Prof. Nadine Kammerlander ist Expertin für den Mittelstand. Sie spricht darüber, worauf es jetzt ankommt.

Es scheint, als sei die aktuelle Situation für manche Mittelständler besonders unbequem. Warum?

Prof. Nadine Kammerlander —

Es gibt derzeit mehrere Faktoren, die dem Mittelstand das Leben schwer machen: Das ist zum einen die generelle Volatilität in den Märkten, die in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Daneben beobachten wir in einigen Branchen große technologische Umbrüche – bspw. in der Automobilindustrie. Erschwerend hinzu kommt die Pandemie. Sie trifft – neben den direkt von den Einschränkungen betroffenen Unternehmen – gegenwärtig besonders Mittelständler, deren Geschäft von der Internationalität abhängt, etwa im Zulieferbereich.

Wie gut oder wie schlecht es einem Unternehmen zurzeit geht, hängt aber auch davon ab, wie ein Unternehmen aufgestellt ist. Wir hatten bis vor kurzem einen starken Aufschwung, in dem mögliche Schwächen von Unternehmen kaschiert wurden. Das heißt: Bei einigen Unternehmen wurde überdeckt, dass es auf strategischer, finanzieller oder personeller Ebene Probleme gibt. Hier wirkt die Pandemie wie ein Brennglas.

Diversität ist ein Erfolgsfaktor. Denn heterogene Teams, bei denen sich alle auf Augenhöhe begegnen, arbeiten offener.

Wie reagieren die mittelständischen Unternehmen auf die schwierige Gesamtlage?

Kammerlander —

Ich arbeite gerade mit Kollegen aus Australien an eine Studie zum Verhalten mittelständischer Unternehmen in der Pandemie. Darin lassen sich zwei gegensätzliche Handlungsansätze erkennen. Zum einen gibt es die „Winterschläfer“. Sie sind darauf bedacht, die Krise zu überleben, indem sie bspw. Kosten senken und staatliche Unterstützung nutzen. Sie wollen die Krise sozusagen im Winterschlaf überleben. Auf der anderen Seite sehen wir Unternehmen, die Krisen aktiv managen und bspw. ihr Geschäftsmodell anpassen und sich in neue Geschäftsfelder vorwagen. So stärken sie ihr Geschäft, um auch in der schwierigen Phase weiter Umsatz und Gewinne zu machen.

Was genau zeichnet die Aktiven aus? Was hilft ihnen durch die Krise?

Kammerlander —

Wir beobachten, dass aktives Handeln oftmals den Weg zu neuen Produkten und Kundengruppen öffnet. In der aktuellen Pandemie sind solche Unternehmen zum Beispiel im Bereich der Schutzausrüstung aktiv.

Auch die Eigenschaften klassischer Familienunternehmen können Unternehmen dabei helfen, gut durch die Krise zu kommen: Das sind vor allem die Fähigkeit zu schnellen Entscheidungen und raschen Umsetzungen in einem sich schnell ändernden Umfeld. Von besonderer Bedeutung ist zudem ein gutes Management der Finanzen. Wer über eine hohe Eigenkapitalquote verfügt, der hat auch im Bedarfsfall schnell die Mittel zur Verfügung, um notwendige Investitionen zum Beispiel in neue Maschinen zu stemmen.

Nicht zuletzt sind natürlich die Beschäftigten ein wichtiger Faktor. Sie müssen bei der Umsetzung der Maßnahmen voll mitziehen. Wenn Unternehmen sich in der Krise anpassen und die Transformation rasch umsetzen wollen, zählen Ausbildung und vor allem Motivation der Mitarbeiter doppelt.

Nicht die Idee, sondern ihre Umsetzung ist oft der Knackpunkt.«

Prof. Nadine Kammerlander

Prof. Nadine Kammerlander

ist Professorin an der WHU – Otto Beisheim School of Management,wo sie das Institut für Familienunternehmen und Mittelstand leitet. Zuvor arbeitete sie mehrere Jahre bei einer führenden Strategieberatung und begleitete unter anderem internationale Unternehmen der Automobilund Hightech-Branche. In ihrer Forschung und Lehre setzt sie sich besonders mit den Themen Innovation, Führung und Nachfolge auseinander.

Eine erfolgreiche Transformation ist oft verknüpft mit erfolgreicher Innovation. Wo liegen hier die Herausforderungen?

Kammerlander —

An innovativen Ideen scheitert es zumeist nicht. Womit sich Unternehmen aber häufig schwertun, ist die Umsetzung. Viele Ideen werden auf Managementebene „totgeredet“. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass im Normalfall mit dem Innovationsgrad von Ideen auch die Unsicherheit hinsichtlich des zugrunde liegenden Businessplans steigt. Die Unternehmen müssen viele Annahmen treffen: über den Markt und dessen Entwicklung, über die „richtige Umsetzung“ von neuen Wegen und vieles mehr. Hinzu kommt: Je volatiler das Umfeld ist, desto stärker ist der intuitive Abwehreffekt.

Wie können Unternehmen die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationen erhöhen?

Kammerlander —

Innovationen lassen sich in der Regel besser umsetzen, wenn das Thema personell möglichst hoch angesetzt ist – idealerweise verankert im Topmanagement. Dort kann eine Innovationsentscheidung effektiv vorangetrieben und darauf geachtet werden, dass das Projekt nicht im Alltagsgeschäft versandet.

Daneben ist es hilfreich – vor allem bei „radikaleren“ Ideen – wenn man Innovationsprozesse aus dem normalen Unternehmensbetrieb herauszieht und sie gesondert aufsetzt. Das Tagesgeschäft mit seinen kleinen und großen „Firefighting“-Herausforderungen und die Innovationsentwicklung stehen einander naturgemäß im Wege. Strukturen, Prozesse und auch Anreizsysteme für die Mitarbeiter sind meist so ausgelegt,dass man sich eher um das Tagesgeschäft kümmert. Für die erfolgreiche Umsetzung ist es daher besser, ein Projektteam zu bilden, das die Innovation mit ganzer Kraft vorantreiben kann.

Innovationsprozesse sollten losgelöst vom Alltagsgeschäft laufen.«

Prof. Nadine Kammerlander

Haben Sie ein Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung?

Kammerlander —

Die Einführung der Nachrichtenplattform Spiegel Online war so ein Fall: Der digitale Strang einschließlich Redaktion wurde zunächst separat vorangetrieben und erst zu einem Zeitpunkt in den Spiegel integriert, als das Digitalkonzept funktionierte. Auf diese Weise konnten innere Widerstände und prozesshemmende Konflikte zwischen Online- und Analogredaktion umgangen werden. Man muss berücksichtigen: In Veränderungsprozessen haben individuelle Ansprüche und die emotionale Bindung zur bisherigen Tätigkeit eine hohe Bedeutung. Dies führt – wenn man nicht acht gibt - rasch zu Blockaden.

Wie vorher schon einmal erwähnt, befindet sich die Automobilindustrie zurzeit in einem solchen „kulturellen“ Umbruch: Die Elektrifizierung reduziert die Bedeutung der klassischen Antriebstechnik und führt die ganze Fahrzeugbranche in eine neue Phase. Die Ingenieurskunst hat die deutsche Automobilindustrie über viele Jahrzehnte weltweit erfolgreich gemacht. Jetzt müssen sich die etablierten Unternehmen mit neuen Konzepten in einem sich stark verändernden Wettbewerb behaupten.

Es scheint, als sind viele Mittelständler mit der Umsetzung von Digitalisierung zurzeit noch zurückhaltend. Ist das so?

Kammerlander —

Ja, das stimmt. Ich habe mit meinem Institut vor einem Jahr etwa 1.700 Mittelständler befragt. Das Ergebnis: Der Mittelstand erkennt zwar die Relevanz der Digitalisierung, er hängt aber mit der konkreten Implementierung von digitalen Technologien noch weit zurück. Basis-IT-Instrumente wie CRM-Management oder ERP-Systeme waren nur bei 50–75 % der Unternehmen im Einsatz. Je weiter fortgeschritten die Technologien waren, desto seltener wurden sie von den Unternehmen genutzt. Die Einsatzquote von künstlicher Intelligenz lag lediglich bei 5 %..

Wir sehen in der Studie, dass der Mittelstand zwar gern in diese Richtung gehen würde – aberoft nicht weiß, wie. Das heißt, es fehlt an Vorbildern und auch an Wissen im Umgang mit Themen wie zum Beispiel Big Data. Zudem gibt es keine ausreichenden Normen und Standards, an denen sie sich orientieren können. Viele Unternehmen befürchten daher „doppelte Investments“, weil sie zu früh in Technologien investieren, die sich ggfs. nicht durchsetzen.

Wo sehen Sie den deutschen Mittelstand in Bezug auf die Digitalisierungsfrage in Summe?

Kammerlander —

Aus der Vogelperspektive betrachtet kann man den Digitalisierungsprozess von Unternehmen in drei Stufen unterteilen: Der erste ist die Prozessdigitalisierung. Dabei werden zunächst die internen Prozesse digital abgebildet. Im zweiten Schritt geht es um Produkte und Services sowie um die Digitalisierung von Schnittstellen zum Kunden. Im dritten Schritt geht es dann um die Digitalisierung der Geschäftsmodelle an sich, also das ganzheitliche Angebot digitaler Produkte, z. B. im Rahmen einer Smart Factory.

In der konsolidierten Betrachtung bewegt sich der deutsche Mittelstand aktuell zwischen Schritt eins und zwei. Den Schritt drei haben zurzeit nur sehr wenige Mittelständler vollzogen. Beispiele sind der Heizsystemanbieter Viessmann oder der Fahrstuhlhersteller Vestner. Beide haben – übrigens unter der Führung eines jungen Managements - die Chancen der Digitalisierung früh erkannt und die Möglichkeiten konsequent auf ihre Geschäftsmodelle angewendet.

Der Wettbewerbsdruck steigt. Und die digitale Kompetenz ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Wie viel Zeit bleibt den Unternehmen noch, um in Zukunft nicht zurückzufallen?

Kammerlander —

Das hängt von der Branche ab und davon, wie sich der globale Wettbewerb entwickelt. Im B2B-Bereich sind die Unternehmen in Deutschland in ihrer digitalen Entwicklung weiter als im B2C-Bereich. Wenn ich mich aber festlegen müsste, würde ich sagen: innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre. Für einige Unternehmen wird es so sein, dass „The-Winner-takes-it-all“-Situationen entstehen. Dort, wo sich diese Tendenz abzeichnet, sind die Unternehmen besonders schnell gefordert.

Mit der Digitalität verbindet sich ein Umgang mit vielen Daten …

Kammerlander —

… was meiner persönlichen Meinung nach die Politik in Deutschland vor eine wichtige Aufgabe stellt: Die wirklich großen Sprünge in Sachen Digitalisierung ermöglicht die Verarbeitung von Big Data. Deshalb brauchen wir schnell gute Ideen, wie wir die digitalen Prozesse in Einklang mit den Regularien bringen können. Datenspeicherung, Maintenance-Leistungen, autonomes Fahren – dies erfordert einen datenschutzkonformen Rahmen, der die unterschiedlichen Interessen wahrt und der zugleich die deutschen Mittelstandsunternehmen international wettbewerbsfähig hält. Unsere strengen Regularien sind aber nicht nur Einschränkung. Sie eröffnen auch Chancen: Wenn es deutschen Unternehmen gelingt, Daten besonders sicher zu nutzen, dann kann es vor allem im B2B-Bereich bei der Vermarktung von Leistungen ein wichtiger Wettbewerbsvorteil sein.

Inwiefern ist „Offenheit“ auch eine Generationsfrage? Was zeichnet die neue Unternehmergeneration besonders aus?

Kammerlander —

Zunächst ist Offenheit nicht automatisch an das Alter geknüpft, sondern eher eine Persönlichkeitsfrage. Es gibt ältere Unternehmer, die sehr offen sind, und Jüngere, die eher zurückhaltend agieren. Wenn wir das Thema Offenheit im Zusammenspiel mit den Themen Innovation und Digitalisierung sehen, dann gibt es aber in der Tat die Tendenz, dass jüngere Menschen offener sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass die jüngere Generation in den letzten zwanzig Jahren mit vergleichsweise geringerer Stabilität aufgewachsen ist – in einer Zeit der technologischen Veränderungen und der wachsenden internationalen Mobilität. Dies führt dazu, dass jüngere Führungskräfte oft schon früh sehr viel gesehen haben. Daneben ist es naheliegend, dass die „Digital Natives“ mit der Digitalisierung sehr viel selbstverständlicher umgehen. Die eben erwähnten Unternehmen Viessmann und Vestner sind zwei schöne Beispiele dafür: Hier ist die jüngere Generation in der Führung und lenkt die Unternehmensgeschicke entscheidend mit.

Das bedeutet aber nicht, dass eine zukunftsfähige Unternehmensführung am besten nur jung oder nur alt sein sollte. Im Gegenteil: Die jüngere Forschung zeigt, dass Diversität in der Führung ein Erfolgsfaktor ist. Wir wissen, dass homogene Teams weit weniger offen handeln als heterogene Teams. Wichtig ist, dass sich die Beteiligten auf Augenhöhe
begegnen.

Welche Bedeutung haben Kooperationen für die jetzt erforderlichen Weichenstellungen? Wie verändert sich gegenwärtig die Bereitschaft zu Zusammenschlüssen und Verkäufen?

Kammerlander —

Kooperationen werden insgesamt wichtiger. Wobei auch hier die Diversität eine wichtige Rolle spielt. Das heißt, dass Unternehmen im Moment vielfach mit Firmen kooperieren müssen, die einen ganz anderen Hintergrund haben – z.B. Industrieunternehmen mit Start-ups. Das ist für beide Beteiligten aufgrund des unterschiedlichen Kultursettings nicht immer leicht.

In Bezug auf das M&A-Geschäft prinzipiell war der Markt zuletzt schwierig. Für die Zukunft wird aber erwartet, dass der Markt wieder Fahrt aufnimmt, wobei er sich von einem Verkäufermarkt zu einem Käufermarkt entwickelt. Es wird mehr Notverkäufe und „stressed“ M&A-Situationen geben. Bei den Verkaufsmultiplikatoren wird sich die Spreizung deutlich erhöhen.

Wenn wir auf den gut aufgestellten Mittelstand blicken, also die Unternehmen, die gute Multiples erzeugen, dann lässt sich feststellen, dass bei den Eigentümern die Offenheit größer wird, über Verkäufe oder die Einbeziehung von Investoren nachzudenken. Dabei steht immer mehr der „Match“ im Fokus – also die Frage: Wie passen eigentlich die beiden Partner zusammen, und zwar über den Verkaufspreis hinaus. Will der Käufer das Unternehmen weiterentwickeln oder geht es ihm im Wesentlichen darum, die Assets aus dem Unternehmen zu ziehen oder in ein anderes Unternehmen zu integrieren? Letzteres ist vor allem nicht bei den Unternehmen, in denen die Nachfolgergeneration mit am Steuer ist, der bevorzugte Weg.

Wenn ein Verkäufer sein Unternehmen weitergibt: Schaut er eher auf den Preis oder eher auf den Erhalt seines Lebenswerks?

Kammerlander —

Es spielt immer beides eine Rolle. Aber um auf die Frage eine gestützte Antwort zu erhalten, haben wir vor wenigen Monaten gemeinsam mit einem Verkaufsportal für Unternehmen mehr als 2.000 Unternehmer dazu befragt. Über die Zusammenarbeit mit dem Portal war das Setting so, dass die Unternehmer keinen Anlass hatten, ihre Aussage nicht wahrheitsgemäß zu beantworten.

Das Ergebnis ergab eine Zweiteilung: Bei etwas weniger als der Hälfte der Verkäufer ist der Preis ausschlaggebend. Bei etwa mehr als der Hälfte war es den Verkäufern wichtig, was mit ihrem Unternehmen passiert. Für viele von ihnen war z. B. besonders relevant, inwiefern das Unternehmen unter dem Namen weiterläuft und welche Vorstellung der Verkäufer im Hinblick auf die Beschäftigten hat.

Wie sieht für Sie das proto­typische Mittelstands­unternehmen in 15 ­Jahren aus?

Kammerlander —

Eine positive Sicht auf das prototypische Mittelstandsunternehmen in 15 Jahren ist, dass das Unternehmen Digitalisierung nutzt, wo immer es nötig und hilfreich für die Kunden, die Kosten und die Sicherheit ist. Es hat seine typischen Vorteile von heute bewahrt: Dazu zählen vor allem schlagkräftige Entscheidungsstrukturen. Es hat motivierte Mitarbeiter, die digital sehr gut ausgebildet sind und sich in der neuen Welt problemlos zurechtfinden. Und es ist nicht rein in einer Unternehmerhand, sondern wird wirtschaftlich – in welcher Form auch immer – von mehreren Investoren getragen, damit der weiteren Entwicklung bzw. dem weiteren Wachstum nichts im Wege steht.

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