IM NEUEN MINDSET

Wie Transformation ­gelingt  Christian Greiser, Experte für Leader­ship, ­Strategie und Change Management, und Vorstands­vorsitzender Dr. Johannes Schmidt über den neuen Mittelstand.

Mit dem Mittelstand verbindet man viele Stärken. Wie ausgeprägt sind diese heute noch?

Christian Greiser —

Nach wie vor wird in Deutschland jeder zweite Euro im Mittelstand verdient. Der Mittelstand bleibt also eine tragende Säule der Wirtschaft. Aus meiner Sicht gibt es vier Stärken, mit denen er gerade auch im Digitalisierungszeitalter punktet: Die erste ist Technologiestärke. Viele Mittel­ständ­ler sind in ihrer Branche (Welt-)Marktführer. Zweitens: Im Vergleich zu Konzernen verfügt der Mittelstand über mehr Flexibilität und Geschwindigkeit. Eigentum und Leitung liegen hier oft in einer Hand. Das führt zu schlanken Strukturen und – der dritte Vorteil – zu einer soliden Finanzbasis. Mittelständler sind kostenbewusst. Sie haben eine hohe Eigenkapitalquote und sind nicht zuletzt auch deshalb gut durch die Corona-Krise gekommen. Und viertens: Mittelständler verfügen über etablierte Netzwerke und einen sehr guten Endkundenzugang. Häufig sind das sehr vertrauensvolle Beziehungen. In Summe kann man sagen: Der Mittelstand hat Unternehmergeist, Innovationskraft und Kundennähe. Perfekte Voraussetzungen, um den nächsten Schritt nach vorn zu gehen.

Perma­nenter ­Wandel wird ­bleiben – und mit ihm auch Krisen. Dies erfordert Agilität, Lern­fähigkeit und vor ­allem eine neue ­Kultur der Partizi­pation.«

Christian Greiser

Executive Coach, Unternehmensberater und Autor. Er unterstützt seine Kunden bei den Themen Führung, Strategie und Change Management. Bevor er sich selbstständig machte, war Christian Greiser Senior Partner bei der Boston Consulting Group (BCG) und weltweit für eine der größten Praxisgruppen verantwortlich. Der studierte Maschinenbau-Ingenieur hat zuvor ein Geschäftssegment bei der Mannesmann AG geleitet. Er hat in Braunschweig, Paris und London studiert und ist Fellow am Institute of Coaching (McLean, Affiliate of Harvard Medical School).

Das heißt, der Mittelstand kann einfach so weitermachen?

CG —

Sicher nicht. Permanenter Wandel wird bleiben – und mit ihm auch Krisen. Dies erfordert Agilität, Lernfähigkeit und vor allem eine neue Kultur der Partizipation. In Zukunft werden Entscheidungen immer mehr an der operativen Basis getroffen. Damit steht das patriarchalische Führungsmodell zur Ablösung zugunsten eines eher holistischen Ansatzes. Das führt auch zu einer neuen Form der Zusammenarbeit. In Zukunft wird es viel mehr hybride Teams geben, die digitale Plattformen nutzen: sogenannte ­Collaboration Hubs. Hier sehe ich im Übrigen eine Riesenchance für INDUS, wo die Unternehmen schon heute bei Querschnittsthemen miteinander kooperieren.

Ein weiteres Handlungsfeld sind neue Geschäftsmodelle und innovative IT-Strukturen. Beim Weg in neue Geschäftsmodelle geht es nicht unbedingt um umwälzende Disruption, sondern um die Rekombination bestehender Ansätze, wie zum Beispiel bei Machine as a Service oder Pay per Use. Die Kooperation mit Start-ups kann hier ein exzellenter Beschleuniger bzw. Tür­öffner sein. Um neue Geschäftsmodelle etablieren zu ­können, wird man zudem die IT-Strukturen homogenisieren müssen.

Herr Dr. Schmidt, wie blicken Sie auf diese Einschätzungen?

Dr. Johannes Schmidt —

Ich teile diese Ausführungen zu 100 % und sehe sie auch für unsere Gruppe als zentrale Aufgaben. Wir adressieren die Themen entsprechend im Dialog mit den Geschäftsführungen und greifen sie mit unseren strategischen Initiativen auf. Das Thema Zusammen­arbeit möchte ich gern um den Aspekt der Vernetzung erweitern. Für die erfolgreiche unternehmerische Weiterentwicklung spielen funktionierende Netzwerke meines Erachtens eine sehr wesentliche Rolle – innerhalb des Unternehmens und der Gruppe, aber auch mit Kunden, Lieferanten, Hochschulen, Forschungsinstituten oder Start-ups. Diese Netzwerk­bildung fördern wir ganz gezielt.

Und vielleicht noch zum ersten Aspekt der ­neuen Führung: Ich glaube, dass auch von­seiten der Mitarbeitenden heute Erwartungen an die Unternehmen herangetragen werden, denen man mit patriarchalischen Modellen nicht mehr gerecht werden kann. Im Wettbewerb um die besten Köpfe ist der Anreiz, moderne Führungs- und Kollaborationsmodelle umzusetzen, hoch. Mittelständler sichern sich damit ihren Status als attraktiver Arbeitgeber.

Dr. Johannes Schmidt

Dr. Johannes Schmidt ist seit 2006 als Vorstand für die INDUS Holding tätig. 2018 übernahm er den Vorstandsvorsitz. Der studierte Mathematiker promovierte im Fachbereich Mechanik und war vor der Zeit bei INDUS u. a. Geschäftsführer bei der ebm-papst Landshut GmbH und der Richard Bergner GmbH.

Nicht nur das Modell, auch der Führungsstil ist heute ein anderer …

CG —

Wir kommen aus einer Welt, in der Führung so gestaltet war, dass jemand Fach­expertise entwickelte, ausbaute und Wissen weitergab. Dieser Command-and-Control-Ansatz ist Vergangenheit. Führungskräfte im 21. Jahrhundert müssen nicht mehr alle Antworten parat haben. Mit der gestiegenen Komplexität können sie es auch gar nicht. Viel wichtiger ist, dass sie schnell und umfassend lernen und dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden das auch tun – indem sie ihnen Orientierung geben und sie dabei unterstützen, ihre Potenziale zu nutzen. Die erfolgreiche Führungskraft von heute handelt eher aus der Rolle eines Trainers heraus. Sie zeigt Möglichkeiten auf und sorgt im Team für eine Atmosphäre, die Wertschätzung vermittelt und damit Energie, Kreativität und Lernfreude freisetzt. Genau hier sehe ich bei dem einen oder anderen Mittelstands­unter­nehmen noch Handlungsbedarf.

JS —

Das lässt sich auch auf unsere Begleitung der Beteiligungen übertragen. Wir müssen die richtige Balance finden in der Frage: Was und wie viel tun wir aus der Holding heraus, was tun die Beteiligungen aus eigenem Antrieb? Wir haben nach wie vor den Anspruch, dass unsere Unternehmer:innen vor Ort ihre Beteiligung ganzheitlich führen. Wir können die Impulse setzen. Wir können die Werkzeuge bereitstellen. Wir ­können Netz­werke flechten. Aber getan werden die Dinge in den Beteiligungen, dort, wo auch das tiefe Marktwissen liegt. Nur so können wir eine Vielzahl von unterschiedlichen Unternehmen in unterschiedlichen Märkten führen.

Die erfolgreiche Führungskraft von heute handelt eher aus der Rolle eines Trainers heraus.«

Krisen sind heute das neue Normal. Wie können sich die Unternehmen auf diesen Dauerstress einstellen?

CG —

Auch hier sind Mittelständler tendenziell im Vorteil. Denn der Umgang mit dem Unvorhergesehen liegt in ihrer DNA. Sie können aber ihre Resilienz weiter stärken – zum Beispiel über Diversität. Eine diverse Belegschaft entwickelt viel feinere Antennen für den Markt. So konnten wir in der Finanzkrise 2008 erleben, was passiert, wenn alle in dieselbe Richtung schauen. Eine Vielfalt der Perspektiven hilft Unternehmen dagegen, aus komplexen Situationen schneller die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das zahlt ein auf Prognose- und Reaktionsfähigkeit, Veränderungskompetenz und die Fähigkeit, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Aus meiner Sicht legen Krisen oftmals schonungslos die Versäumnisse der Vergangenheit offen. Welche externen Ursachen können für mein Unternehmen gefährlich werden? Welche Betriebsabläufe sind bei mir besonders krisen­anfällig? Wer zu diesen Fragen ein klares Bild hat, kann sich zumeist mit einfachen Management-­Tools wie Six Sigma oder Business ­Process Reengi­neering stabil aufstellen, um für das Unvorhersehbare gerüstet zu sein.

JS —

Bei all den Themen, die wir gerade besprochen haben – wie gehe ich analytisch vor, wie identifiziere ich kritische Prozesse, welche Werkzeuge setze ich ein –, dürfen wir aus meiner Sicht auch die involvierten Menschen nicht vergessen. In einer Dauerkrise, wie wir sie gerade erleben, ist es für eine Führung eine immense Herausforderung, das Mindset in der Organisation positiv zu halten. Dieses braucht es aber, damit alle handlungsfähig und -bereit bleiben. Menschen brauchen ein gewisses Maß an Sicherheit. Für die Führung ist das oft ein Spagat.

Veränderungen müssen immer ­wieder sichtbar werden, damit sie gemeinsam gefeiert werden können. Das setzt wichtige neue Energie frei, um den Weg fortzusetzen.«

Wie lässt sich die Langfristorientierung mittel­ständischer Unternehmen mit dem hohen Veränderungstempo im Markt zusammenbringen?

CG —

Das schließt sich für mich nicht aus. Eine mittelständische Stärke ist Kontinuität und Langfristigkeit. Dadurch können Innovationen reifen. Die Herausforderung liegt darin, eine Balance zu schaffen zwischen dem Kerngeschäft auf der einen und mutigen Investitionen auf der anderen Seite.

Dabei kommt den Unternehmer:innen eine wichtige Rolle zu. Sie können sich als Katalysatoren verstehen und Veränderungsprozesse frühzeitig anstoßen, Denkbarrieren beseitigen und die Beschäftigten einbinden. Dann verschaffen sie ihrem Unternehmen einen Vorteil. Wenn sie dies verschleppen oder sogar blockieren und selbst zum Bottleneck werden, dann ist ihr Unternehmen gefährdet.

Herr Greiser, welches Rezept geben Sie Mittelständlern für eine erfolgreiche Transformation auf den Weg?

CG —

Drei besondere Zutaten wären: Ein Unternehmen sollte von Beginn an alle Mitarbeitenden ins Boot holen. Ein Veränderungsprozess kann nur im Team beginnen. Alle müssen die Landkarte, das Ziel und den Plan kennen. Zweitens: Man sollte sich nicht zu viel vornehmen. Ich habe selten Unternehmen gesehen, die sich zu wenig vorgenommen haben. Die allermeisten haben alles gleichzeitig versucht. Besser ist denke ich die Brennglas­methode – auf ein Thema fokussieren und da­rauf die ganze Energie konzen­trieren. Drittens: Die Unternehmen sollten auf Quick Wins achten. Das klingt banal. Es ist aber wichtig, weil sie damit die Energie im Veränderungsprozess managen. Wenn sie anderthalb Jahre benötigen, bis der erste Erfolg eingefahren ist, ist die Energie raus. Veränderungen müssen immer wieder sichtbar werden, damit sie gemeinsam gefeiert werden können. Das setzt wichtige neue Energie frei, um den Weg fortzusetzen.

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